Gestatten Sie mir vorweg ein paar persönliche Worte. So schwer erträglich mir Menschen sind, die sich Sonderrechte herausnehmen, die sie anderen nicht zugestehen, so leide ich andererseits mit Menschen mit, die die Würde der Gleichberechtigung, der Begegnung auf Augenhöhe nie erleben durften und sich daher minderwertig fühlen. Wirklich wohlfühlen kann ich mich nur in Gesellschaft selbstbewusster, gleichberechtigter Menschen.
Das heißt in einem demokratischen System.
Demokratie auf dem Prüfstand
"Das Parlament sollte sich auf seine zentrale Aufgabe besinnen: Bürgerinteressen zu vertreten." war am 10.12.2021 Gastkommentar in der Wiener Zeitung:
https://www.wienerzeitung.at
Täglich demonstrieren abertausende Menschen in vielen Ländern gegen die Repressionen ihrer Herrscher und für einMindestmaß an demokratischen Rechten. Statt auf ihre Forderungen einzugehen antwortet die Macht mit scharferMunition, Gefängnis und Folter. Da- ran lässt sich ermessen, wie privilegiert wir Bürger Öster- reichs und der EU sind! Demokratie ist sogar in unseren Verfassungen verankert. Allerdings: Verfassung und ihre Umsetzung, das ist zweierlei!
Wo also stehen wir bei genauerem Hinsehen? Zweifellos besser als Diktaturen. Die lassen sich nicht abwählen. Wir dürfen demonstrieren, zwar meist erfolglos, aber ohne Gefängnis und Folter befürchten zu müssen. So gesehen geht es uns gut ... Aber um von einer ausgereiften Demokratie zu sprechen, sind die Möglichkeiten einer Einflussnahme durch den Bürger, den Souverän, auf die Regierungsentscheidungen zu gering.
Vor allem aber brauchen wir eine Regierung, die rasch und entschlossen tiefgreifende Veränderungen in Angriffnimmt. Klimawandel und fortschreitende Umweltzerstörung, ein Präkariat, das sich selbst in reichen Demokratien ausbreitet, sowie die Covid-Pandemie verbreiten Angst und Ungeduld in der Bevölkerung und lassen da und dort den Glauben wachsen, eine starke Führungspersönlichkeit wäre den Anforderungen besser gewachsen als die Demokratie. Die Gefahr, dass die Demokratie sich selbst auf demokratischem Wege abschafft und wir uns in einer Situation wiederfinden wie 1938 nach Hitlers Machtergreifung ist durchaus real. Und das, obwohl wir hinreichend positive Erfahrungen mit unterschiedlichsten Formen von Bürgerbeteiligung etwa Bürgerforen haben und mit hervorragenden Verfahren, in strittigen Fragen tragfähige Lösungen zu finden, zum Beispiel Systemisches Konsensieren (SK).
Lasst uns einen Blick auf die Arbeit in unserer parlamen- tarischen Demokratie werfen. Bei allem persönlichen Einsatz und hervorragenden Leistungen der Parlamentarier/innen leidet der Nationalrat in der öffentlichen Wahrnehmung unter einem denkbar schlechten Ruf: Zwei Fraktionen liegen sich in den Haaren. Die Regie-rungsfraktion, entmündigt, weil sie dazu missbraucht wird, die Gesetzesvorhaben der Regierung ‘abzunicken’, und die Opposition, entmachtet, da ihre Kritik, mag sie noch so berechtigt sein, ohne Wirkung bleibt. Dieser schlechte Ruf des wichtigsten Instruments der repräsentativen Demokratie mag mehrere Gründe haben, etwa die mediale Berichterstattung oder eine übergriffige Streitkultur. Der Hauptgrund liegt wohl im Mehrheitsprinzip. Wenn Stimmenmehrheit über die Zuteilung der Macht entscheidet, ist automatisch Schluss mit Kooperation, es gibt nur noch den Kampf, das Gegeneinander, die Polarisierung und das nicht zimperlich! Es ist schlicht ein System, das automatisch den Dissens hervorhebt, wenn nicht gar produziert, es fördert das Gegeneinander statt der Einigung. Der/die profilierte Nationalratsabgeordente ist eher Mauerbauer/in als Brückenbauer/ in und der wichtigsten demokratischen Tugend, dem Kompromiss nicht gerade zugetan. Dazu kommt, dass diese Schwäche des Parlaments der Regierung nicht unwillkommen ist. Welche Regierung wünscht sich schon ein starkes Parlament? Und das ist nicht nur bei uns in Österreich so. Es ist der Entwicklungsstand der repräsentativen Demokratie schlechthin.
So gesehen muß das folgende Szenario wohl eher Wunschdenken bleiben: Man stelle sich vor, das Parla ment besinntsich seiner zentralen Aufgabe, die Interessen des Wählers, des Souveräns zu vertreten, so gut das eben möglich ist. Das heißt, die Nationalratsabgeordneten beschließen, in dringend anstehenden Fragen, so un-terschiedlich ihre Positionen auch sein mögen, an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten und, wenn sie zu einem Ergebnis gelangen, dieses der Regierung als Empfehlung vorzulegen. Und die Regierung wird gut beraten sein, dem Vorschlag durch einen passenden Gesetzesentwurf zu entsprechen. Das wäre ein Meilenstein in der Demokratieentwicklung und eine längst fällige Aufwertung des Parlaments. Es genügt, sich vom eingeübten Gegeneinander zu befreien und im Kleinen das zu wagen, was im Großen zuleisten sein wird: Kooperation über alle politischen, ideologischen und religiösen Grenzen hinweg! Ein mögliches Werkzeugdazu ist mit SK gegeben.
Systemisches Konsensieren
SK besteht im Wesentlichen aus drei Schritten:
- Sammeln von Lösungsvorschlägen zu einem drängenden Problem
- Bewerten der Lösungsvorschläge durch Angabe des persönlichen Widerstandes, vorzugsweise auf einer Skala
von 0 (keinWiderstand) bis 10 (totale Ablehnung) - Ermitteln der Akzeptanz durch Addieren der Widerstandswerte – wo der Widerstand am geringsten ist, ist die Akzeptanzam höchsten.
Diese drei Schritte werden bei Bedarf so lange wiederholt, bis eine Lösung gefunden ist, die von allen akzeptiert wird.
Es sind mehrere Faktoren, die dieses in Österreich entwickelte Verfahren so erfolgreich machen:
Keine Einschränkung der Lösungsvorschläge
SK ermöglicht es im Grunde beliebig viele Vorschläge in die Lösungssuche aufzunehmen, so das ganze Spektrum unterschiedlicher Vorstellungen abzubilden und so dafür zu sorgen, dass sich niemand mit seinen Anliegen übergangenfühlen muss. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied zum Mehrheitsprinzip bei dem in mühsamen Vorentscheidungen so manches berechtigte Anliegen unter den Tisch fallen muß, weil es schwer ist eine qualifizierte Stimmenmehrheit zu erreichen, wenn zwischen mehr als drei Möglichkeiten die Wahl ist. Außerdem entscheidet in der Praxis oft die Stimmenmehrheit über die Zuteilung von Macht. Dass so etwas zu Streit und Hader führt, erleben wir tagtäglich im Parlament.
Systemisches Konsensieren führt vom Gegeneinander zur Kooperation, ...
... sogar zum Entgegenkommen aus Eigeninteresse. Das liegt daran, dass jeder, der sein Anliegen beim nächsten Durchgang erfolgreich durchbringen will, gut daran tut, sich um die Anliegen seiner Mitbewerber zu kümmern und sich die Frage zu stellen, wie weit er ihnen entgegenkommen kann, ohne sein eigenes Anliegen aus den Augen zu verlieren. Sofindet mancher sogar sein Anliegen auch in den Vorschlägen anderer wieder. Das schafft ein Klima des Vertrauens und derKooperation.
Kein Veto
Die Möglichkeit, durch ein Veto dringende Entscheidungen zu blockieren, fällt weg. Sie ist ersetzt durch die Einladung, einen besseren Lösungsvorschlag zu machen.
Digitale Konsensierung im Parlament.
Bei entsprechender digitaler Ausstattung beansprucht eine Konsensierung das Parlament nur wenig. Der Rest wird individuell in Eigenverantwortung jedes einzelnen Abgeordneten erledigt und tangiert die traditionelle parlamentarische Arbeit praktisch nicht. Wortmeldungen und Anfragen zum Inhalt einzelner Lösungsvorschläge sind natürlich möglich und hilfreich.
Die Vorgangsweise
- Eingabe der Lösungsvorschläge bis zum festgelegten Termin. Sie werden unverzüglich auf dem Handy für jedenAbgeordneten ersichtlich
- Eingabe der Bewertungen bis zum festgelegten Ter- min. Die Akzeptanz wird für jeden Abgeordneten so- fort auf demHandy ablesbar.
- Der Lösungsvorschlag mit der höchsten Akzeptanz gilt als angenommen, wenn bis zum festgelegten Ter- min kein Wunsch geäußert wird, einen weiteren Lösungsvorschlag einzubringen.
Menschenrechte und Demokratie oder Diktatur und Unterdrückung
eine Existenzfrage unserer Kinder
Als hätten wir nicht genügend Probleme: Eine nicht zur Ruhe kommende Pandemie, eine Klimakatastrophe mit verheerenden Folgen, eine Umweltzerstörung ungeahnten Ausmaßes, ein globales Artensterben, das letztlich auch uns Menschen bedroht. Alles in allem ein Szenario, das rasches Handeln und vor allem internationale Koope-ration erfordert.
Damit steht es aber nicht zum Besten. Seit rund 50 Jahren warten wir auf rasches Handeln, und die internationale Zusammenarbeit kommt bei allen Bemühungen der UNO nur sehr mühsam voran. Kein Wunder, ist doch das Vetorecht geradezu eine Einladung, die Verhandlungen scheitern zu lassen! Und trotz aller Dringlichkeit, tragfähige Lösungen zu finden, sind es nicht wenige, die davon Gebrauch machen. Selbst in der EU ist so manche dringende Entscheidung durch den Gebrauch des Vetorechts verhindert worden. Wem immer andere Probleme dringlicher erscheinen als die genannten, der hat andere Prioritäten. Da geht es meist nicht um das Gmeinwohl sondern um Machtinteressen. Das gilt für Pu- tin, für Xl Jinping, wie praktisch für alle Diktatoren. So verschieden sie auch sein mögen, sie alle scheuen nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden, wenn es um die Verfolgung ihrer Ziele geht. ("Diktatoren" ist bewusst nicht gegendert, da es in diesem Metier fast ausschließlich um Männer geht.)
Putin und Xi Jinping haben gezeigt, dass sie, so unterschiedlich ihre Ziele auch sein mögen, einander, wie auch allen anderen Diktatoren in drei Punkten gleichen:
- Sie schrecken vor keiner Gewaltanwendung zurück und sind somit eine schwere Bedrohung für ein fried- lichesZusammenleben.
- Sie fürchten nichts mehr als Demokratie und Menschenrechte, denn sie wissen, dass das der Punkt ist, an dem sie verwundbar sind.
- Klima und Umwelt sind für sie kein Thema, da ist mit Kooperation nicht zu rechnen. Sie werden nicht zögern vom Vetorecht Gebrauch zu machen, so dringend die Lösung eines Problems auch sein mag.
Putin und Xi Jinping sind wie alle weiteren Diktatoren heilfroh, dass weder die USA noch die EU oder Großbritannien derzeit ein Demokratiebild mit großer Strahlkraft abgeben. Sie wissen, bei aller Abschottung und Zensur, mit der sie versuchen, Einflüsse von außen abzuwehren:
Lebendige erfolgreiche Demokratien haben besonders für Menschen, die von Diktatoren unterdrückt werden eine ungeheure Anziehungskraft. Menschenrechte und Demokratie stellen die Legitimität diktatorischer Herrscher in Frage, sind in der Lage den Aufstand zu provozieren und haben schon manche Diktatur zu Fall gebracht.
Aber dazu braucht es eine substanzielle Weiterentwicklung der Demokratie in der so genannten freien Welt und das ist ein mühsames und schwieriges Unterfangen, denn auch in der freien Welt gibt es nicht wenige Mini-Putins. Sie sitzen in demokratisch gewählten Regierungen und sind heilfroh, dass die parlamentarische Demokratie in den meisten Ländern so funktioniert, wie das in dem Gastkommentar Demokratie auf dem Prüfstand beschrieben ist: Im Parlament liegen sich zwei Fraktionen unversöhnlich in den Haaren. Die Regierungsfraktion entmündigt, weil sie dazu missbraucht wird, die Gesetzesvorhaben der Regierung abzunicken, und die Opposition entmachtet, weil ihre Vorschläge mögen sie noch so vernünftig sein wirkungslos bleiben.
Dieser Missbrauch des Parlaments sichert den Mini-Putins von Viktor Orban abwärts den Machterhalt und deswegen ist eine substanzielle Weiterentwicklung der Demokratie auch in der freien Welt so schwierig. Die Frage ist: Bleibt es bei einer weitgehend zu einer Scheindemokratie verkommenen Regierungsform oder setzt sich der Wille durch, Demokratie zuleben? Der Wille, dafür zu sorgen, dass – wie es in den meisten demokratischen Verfassungen steht – das Recht vom Volke ausgeht. Und, dass das Volk sich nicht von der Politik angewidert abwendet, sondern aus interessierten mündigen BürgerInnen besteht, die die Einladung zur Mitgestaltung auch gerne und kompetent annehmen.
Das Volk, der Souverän
Das Recht geht vom Volke aus!
Das bedeutet: Das Volk ist der Souverän. Sein Vertreter ist das Parlament. In Vertretung des Souveräns hat das Parlamentdafür zu sorgen, dass die für das Funktionieren des Gemeinwesens Staat erforderlichen Beschlüsse gefasst werden. Für den Inhalt der Beschlüsse ist das Parlament dem Volk verantwortlich. Die Umsetzung ist Kernaufgabe der Regierung. So zumindest müsste es aussehen, wenn die Verfassungsbestimmung, dass alles Recht vom Volke auszugehen habe, ernst genommen wird. Das Parlament hat die Richtung vorzugeben, in die es gehen soll, und die Regierung hat dafür zu sorgen, dass das auch geschieht. Das wäre eine Arbeitsteilung, die ein zügiges Aufarbeiten der drängendsten Herausforderungen ermöglichen könnte.
Es genügt, wie schon erwähnt, sich seiner zentralen Aufgabe zu besinnen, die Interessen der Bürger, des Souveräns zuvertreten so gut das eben möglich ist. Das heißt, die Nationalratsabgeordneten beschließen in einer dringend anstehenden Frage, so unterschiedlich ihre Positionen auch sein mögen, an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten und wenn sie zu einem Ergebnis gelangen, dieses der der Regierung als Empfehlung vorzulegen. Wenn dieser Prozessöffentlich entsprechend wahrgenommen wird, bleibt der Regierung kaum etwas anderes übrig als dem Vorschlag durcheinen passenden Gesetzesentwurf zu entsprechen.
Rechtlich sehe ich kein Hindernis von dieser Mög-lichkeit Gebrauch zu machen. Das eigentliche Hindernis, das jahrelang eingeübte Gegeneinander, ist durch SK unschwer zu überwinden.
"Die richtigen Fragen und Antworten finden"
Jede Zeit hat ihre Tugenden und ihre Untugenden. Eine Untugend unserer Zeit ist die Gier. Ein Wirtschaftssystem, dessendeklariertes Ziel die Gewinnmaximierung ist, kann im Maßhalten nur eine Untugend und störendere Konsumbremse sehen. Neoliberalismus und Maßhalten sind schlicht unvereinbar. Soll der Planet Erde auch für künftige Generationen bewohnbar bleiben, braucht es eine Wiederbelebung des Maßhaltens Und das ist wohl nur mit einer Wirtschaft denkbar, die statt der Gewinnmaximierung das Wohlergehen aller zum Ziel hat.
Ein zentrales Mittel zur Steigerung des Gewinns ist die Werbung. Ja, genau die Werbung, die uns täglich nervt, im überfüllten Briefkasten, im Fernsehen, im öffentlichen Raum, ja genau die Werbung, die uns verführt ungesund zu essen und unsere Kinder dick macht.
Frage: Was wollen wir zur Eindämmung der Werbung unternehmen?
- Werbefreie Zonen?
- Werbung besteuern statt steuerlich entlasten? …
Frage: Was wollen wir zur Reduktion des Kraftstoffverbrauchs machen?
- Tempo 100 auf Autobahnen, 60 auf Freilandstraßen?
- Ausbau der Bahn?
- Reduktion des Schwerverkehrs durch regionale Güterversorgung?
Frage: Was können wir gegen die Kluft zwischen Arm und Reich und gegen die Verbreitung von Armut machen?
- Schaffen wir es, Steueroasen zu schließen?
- Wollen wir ab einem bestimmten Einkommen einen Solidarbeitrag einführen?
- Macht es Sinn, eine Mindestlohnerhöhung festzulegen?
Frage: Was wollen wir für ein leistbares Wohnen unternehmen?
Wahrscheinlich werden Sie bald auf Fragen stoßen, die den Rahmen eines kleinen Landes sprengen und besser im EU Parlament zu behandeln wären oder supranational. Ich bin sicher, Ihnen fallen aus dem Stehgreif noch jede Menge sinnvolle Fragen ein.
Sinnvolle Antworten zu finden ist schon schwieriger. Aber die Erfahrung hat gezeigt, je mehr Teilnehmer mitmachen und je unterschiedlicher sie in ihrer Ausbildung ihren Interessen und ihrer Lebenserfahrung sind, umso höher die Qualität der Ergebnisse. Jedenfalls stellt der Nationalrat einen Pool unterschiedlichster Ausbildungen, Interessen und Erfahrungen dar, der einiges erwarten lässt. Versuchen Sie es einfach, Sie werden überrascht sein.
Bildungsauftrag Demokratie
Wie steht es damit an Österreichs Schulen?
Ein Sittenbild österreichischer Demokratieentwicklung
Die erforderliche Autonomie für pädagogische Entscheidungen ist an Österreichs Schulen durchaus gegeben. Auch die Einrichtung, die geeignet ist, solche Entscheidungen demokratisch zu treffen gibt es, den Schulgemeinschaftsausschuss, in dem LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen vertreten sind. Woran liegt es aber, dass diese Möglichkeiten so wenig genutzt werden?
Da ist einmal die alte, weit verbreitete Ansicht, dass in der Schule der Bildungsauftrag Demokratie für erfüllt erachtet wird, sobald von demokratischen Wahlen die Rede war, vom Parlament und der Regierung. Was meist unberücksichtigt bleibt ist, dass demokratische Bildung nicht ohne praktische Übung erreicht werden kann. Eine nicht unbedeutende Rolle mag wohl eine neoliberale Verschiebung moralischer Werte spielen, wie sie in Politik und Wirtschaft aber auch in der Gesellschaft seit den 80er Jahren zu beobachten ist:
- Von Bescheidenheit in Richtung Maßlosigkeit
- Von Beziehungsfähigkeit in Richtung Egozentrik
- Von sozialen Werten hin zu narzisstischen Werthaltungen
- Von Moralansprüchen hin zu "was zählt ist Erfolg"
- Von Fairness hin zu Konkurrenz und dem Zwang zu gewinnen
- Von Vertrauen hin zu Kontrolle
Dabei entstand ein Umfeld, in dem es kein Wunder ist, wenn Eltern als Bildungsziel für ihre Kinder wünschen, sie mögen ihr Lebensglück in einer möglichst steilen Karriere und in materiellem Wohlstand finden. Und was Wunder, wenn Eltern ihren Kindern überzogene Erwartungenaufbürden?
Und was hat das jetzt mit dem Thema Demokratie zu tun?, werden Sie sich fragen. Genauso viel wie Offenheit gegenüber Veränderungen, wie Toleranz, wie Fairness, wie die Fähigkeit eigene Interessen zu vertreten und Verständnis für die Interessen anderer zu entwickeln, wie Kritikfähigkeit nicht nur anderen sondern auch sich selbst gegenüber. Das und noch manches mehr ist Thema, wenn es um Demokratie geht, denn aus einem von den oben genannten sozialen Untugenden geprägten Menschen wird noch kein Demokrat, wenn er die Spielregeln der Demokratie kennen lernt. Es braucht eben den mündigen Bürger mit einem intakten ‘Wertekom-pass’, es braucht den Ethikunterricht und praktische Übung!
Es ist vieles in Bewegung in Österreichs Schulen. Es gibt österreichweit eine ganze Reihe hervorragender Schulen undunterschiedlichster Initiativen, die es wert sind Nachahmer zu finden.
Mehr darüber finden Sie unter www.schule-im-aufbruch.at
Daneben gibt es aber noch ein weites, brachliegendes Feld, das es zu beackern gilt. Lassen sie mich ein paar Beispiele fürmögliche pädagogische Schwerpunkte aufzeigen, die geeignet sind, die Demokratiefähigkeit zu fördern:
Aufspüren und Fördern von Begabungen
Jedes gesunde Kind hat irgendwo seine ganz besonderen Begabungen, wie es auch seine Schwächen hat. Wie wäre es, wenn wir gezielt versuchten, die Begabungen aufzuspüren und zu fördern, bei den Begabungen Leistung zu fordern, aber nachsichtig bei den Schwächen zu sein? Kinder, die um ihre Stärken wissen, können auch ihre Schwächen besser annehmen. Und ein Kind, das mit sich und der Welt im Reinen ist, hat gute Chancen auf ein gelingendes Leben und eine Sinn stiftende Rolle in seinem sozialen Umfeld. Um nicht missverstanden zu werden: Wenn wir allerdings jeden Rülpser, den ein Kind von sich gibt verzückt bewundern, erreichen wir das Gegenteil: das überhöhte Selbstwertgefühl eines Narzissten.
Demütigungen vermeiden
Körperliche Gewaltanwendung in der Schule ist Ver-gangenheit. Es ist an der Zeit, dass auch die psychische Gewalt, die Gewalt an der Seele eines Kindes geächtet wird. Kinder, die überzogene elterliche oder schulische Erwartungen nichterfüllen können, erleben sich als Versager. Kein Kind sollte die Schule mit einem geschädigten Selbstwertgefühl verlassen. Demut mag eine Tugend sein. Demütigung ist ein Verbrechen, das die Würde eines Menschen zutiefst verletzt, krank macht und aggressives Verhalten hervorruft.*
Kinder selbst entscheiden lassen
Jugendliche, die nur gelernt haben, Anweisungen zu befolgen, haben große Schwierigkeiten, eigenverantwort-ich zu handeln. Sie sollten daher früh lernen, unter mehreren Möglichkeiten zu wählen. Das ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Hier bleiben viele Möglichkeiten ungenutzt, weil wir Erwachsenen dazu neigen, den Kindern die Entscheidungen abzunehmen.
* Vgl. Gerald Hütter, Lieblosigkeit macht krank, Herder 2021
Kinder Lösungen suchen lassen
Wenn es darum geht, in einer Gruppe von Kindern mit unterschiedlichen Vorlieben eine Entscheidung zu finden, so ist das das Feld für soziales Lernen: Ist es gerecht, wenn immer nur die Mehrheit gewinnt? Gibt es Lösungen, wo auch Minderheiten auf ihre Rechnung kommen? Was macht man, wenn es viele Lösungsvorschläge gibt? Es werden wichtige Fragen gestellt und wenn man den Kindern die nötige Zeit lässt, werden Lösungen gefunden, und soziale Verhaltensregelnentwickelt und eingeübt.
Das Nein
Kinder sollten möglichst früh lernen zu sagen "das will ich nicht", wenn ihnen etwas unangenehm ist. Und sie müssen lernen, ein solches Nein auch zu respektieren. Nach den Me-too Enthüllungen wird jeder verstehen, dass ein klares Nein für den Selbstschutz ebenso wichtig ist wie der respektvolle Umgang damit. Das Set-en von Grenzen will ebenso erlernt sein wie das Akzeptieren von Grenzen.
Eine Diskussion darüber im Schulgemeinschaftsausschuss, ob man den einen oder anderen pädagogischen Schwerpunkt in der Schule umsetzen will, erhöht nicht nur das Problembewusstsein, sondern bietet auch SchülerInnen wie Eltern und LehrerInnen die Möglichkeit Demokratie zu leben.
Eine entsprechende Aufmunterung vonseiten der Bildungspolitik wäre hilfreich!
Zu guter Letzt
Bitte sehen Sie die Bedeutung Ihrer Arbeit im globalen Kontext. Erkennen Sie angesichts der globalen Herausforderungen die Dringlichkeit, die Demokratie erfolgreich und attraktiv zu gestalten. Es bedarf keiner Überheblichkeit, um zu erkennen, wie wichtig die Weiterentwicklung der Demokratie für die globale Entwick-ung ist. Und warum soll das nicht von einem kleinen Land ausgehen? Ist doch das zentrale Instrument für eine zügige, zielführende Behandlung schwieriger Materien, das Systemische Konsensieren, eine österreichische Entwicklung. Es braucht den Anstoß in Europa und in der Welt!
Gerhard Winter
Autor und Verleger
Literaturhinweise
Siegfried Schrotta "Lebendige Demokratie"
Die Einigungskraft kooperativer Politik
Danke-Verlag
Erich Visotschnig "Nicht über unsere Köpfe"
Wie ein neues Wahlsystem die Demokratie retten kann
Ökom-Verlag
Siegfried Schrotta "Mit kollektiver Intelligenz die besten Lösungen finden"
Danke-Verlag
Georg Paulus, Siegfried Schrotta, Erich Visotschni
"Systemisches Konsensieren"
Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg
Danke-Verlag